Persönliches Krisenmanagement
Genau in dem Augenblick, als die Raupe dachte, die Welt geht unter, wurde sie zum Schmetterling.
(Peter Benary)
Viele Menschen leben lange sehr gut und sehr erfolgreich, ohne dass sie sich mit ihren Gefühlen jemals direkt beschäftigen. Problematisch kann diese Art mit Emotionen umzugehen allerdings werden, wenn die Person mit Ereignissen – wie z.B. Trennung/Scheidung – konfrontiert wird, die mit massiven Bedrohungen und/oder Verletzungen ihrer Ziele und Bedürfnisse einhergehen. Wenn in dieser schon stressinduzierenden Situation keine explizit kodierten Konzepte abgerufen werden können, wie man mit ihnen konstruktiv umgehen kann, kommt es zum Erleben von Kontrollverlust und Orientierungslosigkeit und zur Ausschüttung von Stresshormonen.
Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion ist ein von dem US-amerikanischen Physiologen Walter Cannon (1915) geprägter Begriff. Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion beschreibt die rasche körperliche und seelische Anpassung von Lebewesen in Gefahrensituationen als Stressreaktion. Die zugehörigen neurobiologischen Abläufe erforschte Cannon damals bereits an der Reaktion von Tieren auf Bedrohung.
Während der Kampf-oder-Flucht-Reaktion veranlasst das Gehirn, dass durch Nervenbahnen des vegetativen Nervensystems Impulse an die Nebennierenrinde gesendet werden, die dort eine schlagartige Freisetzung von Adrenalin bewirken, das u. a. die Herzfrequenz, die Körperkraft (Muskeltonus) und die Atemfrequenz erhöht. Bei einer Dauerbelastung werden zusätzlich stoffwechselanregende Hormone wie Cortisol von der Nebennierenrinde ins Blut abgegeben, da das Adrenalin zwar sofort, aber nur für kurze Zeit wirksam ist. Diese Reaktionen liefern die Energie für überlebenssicherndes Verhalten, das einer Stresssituation bei Tieren unter artgemäßen Bedingungen angemessen ist: Kampf oder Flucht.
Beim Menschen kann ein „Adrenalinstoß“ in Gefahrsituationen mit körperlichen Anforderungen sehr hilfreich sein, jedoch kommt es in diesem Zusammenhang häufig auch zu Affekthandlungen. Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion beruht auf einer positiven Rückkopplung zwischen Nebennierenmark und Sympathikus. Impulse des Sympathikus veranlassen eine Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin. Noradrenalin ist der Neurotransmitter des Sympathikus, weshalb dieser dadurch noch mehr Impulse geben kann, sodass noch mehr Neurotransmitter ausgeschüttet werden. Deshalb kann ein Mensch in manchen Gefahrsituationen „übermenschliche Kräfte“ entwickeln. Bei chronischer Stressentwicklung verliert man die Erdung und befindet sich in einem krankmachenden, dauerhaften Krisenzustand.
Das Autonome Nervensystem steuert alle wesentlichen Funktionsabläufe im menschlichen Organismus. Das Zusammenspiel seiner beiden Äste – Sympathikus für Leistung und Parasympathikus für Regeneration – kann durch die Messung der Herzratenvariabilität als evidenzbasierte vegetative Funktionsdiagnostik erfasst und sichtbar gemacht werden. Die Herzratenvariabilität (HRV) ist ein Maß für die gesamte Anpassungsfähigkeit eines Organismus und damit ein Maß für Gesundheit. Sie zeigt unseren aktuellen Stand zwischen „völlig gesund“ und „Burn-out“gefährdet an.
Aber welche gefährlichen Abläufe führen in einer Krisensituation zu einer chronischen Stressentwicklung? Um diese Frage zu beantworten, analysierten wir zunächst über 100 wissenschaftliche Studien und trugen zusammen, was man über den Zusammenhang von Defiziten im Bereich der Emotionsregulation und psychischen Störungen bereits wusste. Das Ergebnis: Das Zusammenspiel von sechs Teufelskreisen führt uns in einen krankmachenden, dauerhaften Krisenzustand.